Gregor VII. (1073–1085). Zur Persönlichkeit einer Ausnahmegestalt

Gregor VII. (1073–1085). Zur Persönlichkeit einer Ausnahmegestalt

Organisatoren
Jochen Johrendt, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Historisches Seminar, Bergische Universität Wuppertal
PLZ
42119
Ort
Wuppertal
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
20.04.2023 - 21.04.2023
Von
Niels Sperling, Bergische Universität Wuppertal

Das 950. Jubiläum der Erhebung Papst Gregors VII. am 22. April 1073 wurde zum Anlass einer Tagung des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte in Wuppertal genutzt, die die Persönlichkeit des wohl bekanntesten Papstes des Mittelalters in den Blick genommen hat. Konkret behandelten die drei Sektionen die Persönlichkeit und das Umfeld des Papstes, seine Annäherungen und strukturellen Konfliktfelder sowie die Interaktion mit Anderen.

Jochen Johrendt verwies in seiner Einleitung auf die Vielzahl an Literatur zu diesem Papst und seinem Pontifikat und hob dabei die 14-bändige Reihe „Studi Gregoriani“ hervor. Er skizzierte knapp, dass es nicht um die Frage der Rolle Gregors VII. im Konflikt mit Heinrich IV. oder den tatsächlichen Veränderungen infolge des sogenannten Investiturstreit gehen soll. Er machte deutlich, dass die Einflüsse Gregors VII. auf den geistigen Anteil der Reform weniger entscheidend gewesen sein, ihn die Forschung jedoch trotzdem als seine Zeit prägend beurteilt. Dabei sollte die Frage nach Gregors VII. Persönlichkeit im Vordergrund stehen, obwohl die Quellen eher das Amt und weniger den jeweiligen Amtsinhaber darstellen, jedoch das Register Gregors VII. das erste vor der kontinuierlichen Überlieferung seit Innozenz III. ist und in der Masse der Briefe auch die Persönlichkeit des Papstes untersucht werden könne. So sollte die Tagung danach fragen, welche persönlichen Antriebe für das Handeln und Wirken des Papstes erkannt werden können. Wo konnte er als Katalysator auftreten?

FRANCESCO MASSETTI (Wuppertal) referierte über Hildebrands Zeit unter den frühen Reformpäpsten beginnend mit dem Pontifikat Leos IX. Nach der Zeit im deutschen Exil war Hildebrand, so der Name Gregors VII. vor seiner Papstwahl, mit dem lothringischen Bischof nach Rom gekommen. Auch wenn der inhaltliche Anteil Hildebrands an den Reformen nicht mit Humbert von Silva Candida oder Petrus Damiani vergleichbar gewesen sei, war er als Subdiakon der römischen Kurie und „custos“ des Altars des hl. Petrus in einer herausragenden Stellung im Reformkreis der frühen Reformpäpste. Unter Viktor II. sei er als cardinalis subdiaconus bezeichnet worden, was die besondere Nähe zum Papst darstellen kann. Zudem war er mit Legationen in Schlüsselregionen der Christianitas betraut worden und habe sich dort um die Neubesetzung eines Bischofsstuhls oder die Anerkennung Stephans IX. gekümmert, was Massetti auch auf die gewonnenen Erfahrungen im Exil zurückführen konnte. Als Auffälligkeit benannte er das sich in den Briefen zu erkennende friedvolle Verhältnis zu regnum und Kaiser. Abschließend konnte er zwar eine besondere Papstnähe Hildebrands nachzeichnen, jedoch keine führende Rolle in der Kurie. Diese sei vielmehr eine anachronistische Darstellung der gregorianischen Propaganda.

SABRINA BLANK (Aachen) skizzierte in ihrem Referat die Wahl Gregors VII. und hob hervor, dass der Papat von Tradition und Irregularität geprägt gewesen sei. Bereits bei Gregors VII. Vorgänger Alexander II. war fraglich, ob das seit 1059 gültige Papstwahldekret Nikolaus’ II. Anwendung gefunden habe und auch die Wahl Gregors VII. selbst sei nicht nach diesen Bestimmungen erfolgt. Dabei war mit Gregor VII. erstmals wieder ein römischer Kleriker und kein auswärtiger Bischof auf die Kathedra Petri gelangt, der den einmütigen (unanimitas) Willen der Wähler betonte. Und selbst wenn die feierliche Inthronisation in Frage zu stellen sei, erkannten Heinrich IV. und andere Gregor VII. an. Erst auf der Synode in Worms 1076 nach der Exkommunikation des römisch-deutschen Kaisers habe der deutsche Episkopat Gregor VII. den Gehorsam mit Bezug auf eine unrechtmäßige Wahl des Papstes aufgekündigt. Abschließend stellte Blank heraus, dass die Wahl Gregors VII. erst nach seinem Handeln während seines Pontifikats angezweifelt wurde, wenngleich die Missachtung des Papstwahldekrets nur ein Argument unter vielen gewesen sei.

JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal) wählte die Perspektive Gregors VII. auf Rom für sein Referat. Anhand ausgewählter Briefe Gregors VII. versuchte er dessen Verhältnis zur ewigen Stadt und ihren Bewohnern nachzuzeichnen. Er sah bereits zu Beginn des Pontifikats ein negatives oder sogar pessimistisches Bild und Bedrohungen, an dessen Spitze dieser Klimax Rom gestanden habe. Dieses Bild sei umso auffälliger, da Gregor VII. schließlich der erste Römer auf der Kathedra seit 1046 und nur selten außerhalb der urbs war. Johrendt konnte eine Reromanisierung nach Amtsantritt begründen. Gleichzeitig war der Pontifikat Gregors VII. in Rom durch neue Adelsfamilien und damit neue Akteuren gekennzeichnet, die dem Papst bis zum Konflikt mit Heinrich IV. loyal zur Seite standen. Er konstatierte, dass Rom durch Gregor VII. religiös durchdrungen und die römische Kirche klerikalisiert wurde.

AMALIE FÖSSEL (Duisburg-Essen) ging es um das Verhältnis Gregors VII. zu den Frauen. Systematisch untersuchte sie das Register Gregors VII. nach dessen Verhältnis zu den Frauen. Sie konnte deutlich machen, dass es eine kleine Gruppe hochadliger Frauen gegeben habe, „auf die sich der Papst verlassen konnte“. Schon in einer Wahlanzeige sollte Kaiserin Agnes in Montecassino gegrüßt werden, auch bei seiner Inthronisation war eine Frau anwesend. Dabei konnte Fößel zwei Kriterien für den Briefwechsel mit Frauen ausmachen: Einerseits politische, andererseits verwandtschaftliche Gründe. Er stand so nicht nur mit den Königen, sondern auch mit den Königinnen im Kontakt. Sie konnte so feststellen, dass Gregor VII. zur Belehrung, Gehorsamseinforderung oder der Sorge um das Seelenheil schrieb, wobei die Sprache eher als einfach zu bezeichnen sei. Das so zu Tage getretene enge Verhältnis wurde expressis verbis in den Briefen ausgedrückt, wobei er sich des Vokabulars der Liebe und Freundschaft bediente. Insgesamt hielt sie fest, dass Gregor VII. zwar nicht vielen Frauen schrieb, diese dann jedoch Eigendiktat waren. Er hatte eine persönliche Verbindung zu seinen Adressatinnen.

LIOBA GEIS (Köln) bot einen Abriss der Simonievorstellungen von Gregor I. zu Gregor VII. Sie versuchte die Entwicklung nachzuzeichnen und dabei Traditionslinien und Brüche mit denselben darzustellen. Dabei konnte sie bei Gregor dem Großen angefangen dessen Bedeutung für die mittelalterlichen Simonievorstellungen und die damit verbundene praktische Bedeutung für die Bekämpfung der Simonie hervorheben. Sie zeigte, dass Gregor VII. schon vor seinem Pontifikat mit den zeitgenössischen Debatten in Berührung kam, sich jedoch als Papst vorrangig für die rechtliche Ansicht interessierte. Er sei davon überzeugt gewesen, dass Simonie vielmehr ein praktisches und weniger ein abstraktes Problem war. Dabei konnte er auf Texte Gregors des Großen wie seinen Evangelienhomilien zurückgreifen. Im Ergebnis konstatierte Geis, dass die Selbstdarstellung und zeitgenössische Wahrnehmung die eines „Hardliners“ gewesen sein soll, jedoch auf inhaltlicher Ebene kaum nachhaltigen Einfluss gehabt habe. Als eine Ausnahmegestalt könne Gregor VII. in dieser Hinsicht nicht bezeichnet werden.

NICOLANGELO D'ACUNTO (Brescia/Mailand) rückte unter Betrachtung Gregors VII. und Wiberts von Ravenna die Frage nach dem Revolutionär und dem Traditionalisten in den Vordergrund. Nach einem Exkurs zum Revolutionsbegriff fragte er nach der Rolle Gregors VII. als Revolutionär. Während der sogenannte Investiturstreit als eine Revolution Gregors VII. betrachtet werden könne, stellte er fest, dass das gregorianische Reformprogramm vielmehr eine Anhäufung pluraler Reformtendenzen war, die sich seit 1046 kristallisierten. Dabei zeigte er auch, dass viele Briefe propagandistischen Charakter hatten, jedoch der Begriff einer Revolution aufgrund negativer Konnotation durch den einer re-formatio ersetzt wurde. Unter diesem Deckmantel habe das Papsttum in dieser Zeit eine Revolution vollzogen, die den Grundstein für die europäische Zivilisation gelegt habe. Für Clemens (III.) konnte dieser revolutionäre Geist nicht erkannt werden, da er zwar die reformerischen Anliegen wie Simoniebekämpfung kannte, jedoch nur einen gemäßigten Reformismus wollte. Für D'Acunto war Gregor VII. hingegen sicherlich ein Revolutionär.

ÉTIENNE DOUBLIER (Köln) ging es um die sozialen Veränderungen durch Gregor VII. Dabei war er geleitet von der Frage, warum der Papst soziale Veränderungen überhaupt wahrnehmen sollte. Für Gregor VII. sei häufig davon ausgegangen worden, dass solche sozialen Veränderungen zeitgenössisch wahrgenommen wurden. Er führte den Liber gestorum recentium, die Annalen Lamberts von Hersfeld und die Vita Anselmi an, um zu zeigen, dass es in der Zeit zu Unruhen und Aufständen der laikalen Bevölkerung gegen den Klerus kam. Bei Gregor VII. konnte Doublier den zentralen Begriff der fidelis/fideles sancti Petri ausmachen, der die Rechtgläubigkeit und nicht den sozialen Stand charakterisiere. Somit konnte er eine systematische Ausblendung des Sozialen und eine Betrachtung in religiöser Kategorie feststellen. Er resümierte so, dass Gregor VII. das Soziale drastisch kategorial vereinfachte und auf religiöse Kategorien reduzierte.

GERHARD LUBICH (Bochum) beleuchtete mit dem Konflikt zwischen Papst und Kaiser ein vermeintliches Standardthema. Dabei konzentrierte er sich jedoch auf die Befunde der Annalistik, da sie einen weiter verbreiteten Wissensbestand nahelegen. Nach einer Skizze des Konfliktverlaufs konnte er eine Asymmetrie in der Quellenlage der beiden Universalgewalten erkennbar machen: das umfangreiche Register Gregors VII. auf der einen Seite und die wenigen Briefe Heinrichs IV. trotz längerem Zeitraum auf der anderen Seite. Ein ganz anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man sich auf die Annalistik konzentriert. So liefern die Augsburger Annalen die Wahl Gregors VII., den Empfang in Canossa, aber auch teilweise größere zeitliche Sprünge und keinen Bericht über die Exkommunikation. Die sogenannten St. Galler Annalen sparen die Exkommunikation nicht aus, nennen dafür aber nicht den Canossa-Gang. Lubich kam so zum Schluss, dass die Annalistik die Auseinandersetzung kaum reflektierte, auch Schuldzuweisungen fehlten und die Exkommunikation im Gegensatz beispielsweise zur Belagerung Roms keine Rolle spielte. Er fragte zum Abschluss, ob bei einem Vergleich mit dem 8. Jahrhundert bei diesem Quellenstand überhaupt noch von einem Investiturstreit gesprochen werden kann.

ALFREDO LUCIONI (Mailand) bot einen Überblick über die Beziehungen Gregors VII. zu den Patarenern und Valombrosanern. Er konzentrierte sich dabei vorrangig auf die Pataria und bettete die Briefe Gregors VII. an den 1075 gestorbenen Erlembald sowie dessen Nachfolger als Anführer der Pataria gelungen in die Mailänder Situation ein. Er stellt dabei die päpstliche Wahrnehmung der Entwicklungen in der Lombardischen Metropole der Perspektive einiger historiographischer Quellen aus dem Patarener Umfeld gegenüber, womit Wahrnehmung und Wünsche beider Seiten gegenübergestellt wurden.

Dem Beitrag Gregors VII. zur Kanonikerreform widmete sich CATERINA CAPPUCCIO (Wuppertal). Für sie sei der Pontifikat eine Zusammenfassung der Reform, wobei sie Hildebrands Einfluss auf die kirchliche Entwicklung bereits auf dem Laterankonzil 1059 festmachte. Während der spätere Gregor VII. Strenge forderte, haben Nikolaus II. und Alexander II. dies nur mittelbar in abgeschwächter Form umgesetzt. Daran sei das Bemühen Hildebrands um eine Kanonikerreform zu erkennen, die offenbar ein Kernanliegen dieses Papstes war. Cappuccio fasste zusammen, dass der Versuch der Kanonikerreform eine kontinuierliche Beschäftigung Hildebrands/Gregors VII. gewesen sei. Auch als Papst versuchte er seine auf dem Laterankonzil 1059 begonnene Politik fortzusetzen.

Zuletzt beschäftigte sich FLORIAN HARTMANN (Aachen) in seinem Referat mit dem Verhältnis Gregors VII. zu den Sachsen. Unter systematischer Auswertung der Briefe im Register Gregors VII. konnte er nur fünf Briefe mit exklusivem Empfänger in Sachsen ausfindig machen, die alle in die Zeit vor 1075 fallen. Dabei war der häufigste Empfänger Bischof Burchard von Halberstadt, da Gregor VII. auf seine Vertrautheit und Autorität setzte. Zudem mischte sich Gregor VII. in die Besetzung des Magdeburger Bischofsstuhls ein, wo er eine eigene Dreierliste ausstellte, auf der kein Sachse stand. Hartmann konstatierte in den Briefen an Sachsen den Ausdruck einer Machtdemonstration und des päpstlichen Herrschaftsanspruchs.

Die Tagung konnte insgesamt verdeutlichen, dass die Faszination an Papst Gregor VII. bleibt und neue Perspektiven die Forschung noch weiterbringen können. Das facettenreiche Wirken Gregors VII., in seiner Zeit als römischer Kleriker Hildebrand oder als Papst, kann für weiterführende Fragestellungen ertragreich sein. Die Tagung führte ertragreich vor Augen, dass die Untersuchung des Handelns und der Person Gregors VII. noch kein Ende gefunden hat.

Konferenzübersicht:

Jochen Johrendt (Wuppertal): Einleitung

Francesco Massetti (Wuppertal): Hildebrand im Dienst der römischen Kirche unter den frühen Reformpäpsten

Sabrina Blank (Aachen): … violentis manibus me in locum apostolici regiminis rapuerunt. Die Wahl Gregors VII. zwischen Tradition und Irregularität

Jochen Johrendt (Wuppertal): Romanos … Iudeis et paganis quodammodo peiores esse redarguo. Gregor VII., Rom und die Römer

Amalie Fößel (Duisburg-Essen): Gregor VII. und die Frauen

Lioba Geis (Köln): Simonievorstellungen und Simoniebekämpfung von Gregor I. zu Gregor VII. Nichts Neues und doch alles anders?

Nicolangelo D'Acunto (Brescia/Mailand): Gregor VII. und Wibert von Ravenna – Revolutionär und Traditionalist?

Étienne Doublier (Köln): Die Wahrnehmung sozialer Veränderungen durch Gregor VII. – die städtischen Konflikte

Gerhard Lubich (Bochum): Gregor VII. und Heinrich IV. Das Zeugnis der deutschen Annalistik

Alfredo Lucioni (Mailand): Gregor VII., die Patarener und Vallombrosaner. Der Papst und die Amtskirche in religiös aufgeladenem Terrain

Caterina Cappuccio (Wuppertal): Der inhaltliche Beitrag zur Reform? Gregor VII. und die Kanoniker

Florian Hartmann (Aachen): Gregor VII. und die Sachsen – Bundesgenossen oder Parallelwelten?

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